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2.2. Das Konkurrenzproblem und Jesus musste sterben

Ein Versuch über Gewalt nachzudenken. Nach René GirardGirard

Es können mehrere Ebenen unterschieden werden, auf denen Lösungen möglich sind: Begehren, Nachahmung, Konkurrenz in der Gruppe, Sündenbockmechanismus (Massenfuror, Töten, Zerreißen, Einverleiben, Krieg, Rache, Menschenopfer, Todesstrafe), Schuld und Unschuld, mythologische Tünche

Die Lösungen nach den Ebenen:

  • Begehren: Dass wir Menschen kein Maß kennen, wissen die Religionen seit alters her.
    • Der Buddhismus meint, die Ursache des Leidens sei die Gier und die Leidenschaft. Deshalb sollten wir die Gier in der Meditation beherrschen lernen, aber auch im sonstigen Tun die Leidenschaften auf Null bringen.
    • Das Judentum setzt das 10. Gebot (das im Katholischen auf 9. und 10. aufgeteilt ist) dagegen: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau und Gut.
    • Das Christentum hingegen tauscht das Objekt des Begehrens aus. Nicht deines Nächsten Frau und Gut sollst du begehren, sondern Gott: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, ganzer Seele und mit all deiner Kraft.“ Dadurch wird der Natur des Menschen entsprochen, die Leidenschaft hat ein Ziel und man muss sie nicht unterdrücken. Die Mystiker im Judentum und im Islam gehen ebenfalls diesen leidenschaftlichen Liebesweg. Dieser minimiert schon die anderen Bereiche, das Nachahmen und die Konkurrenz. Aber der Tausch des Objektes allein kann die Nachahmung von Gewalttätern nicht verhindern, wie wir im Islam (Selbstmordattentate) oder in Israel (Gezielte Tötungen) sehen.
  • Nachahmung: Viele Tätigkeiten basieren auf unbewusster Es ist deshalb die Frage wichtig: Wen wollen wir nachahmen? Ist es der Sieger? Ist es der Freund? Ist es die Mutter, der Vater? Ist es Buddha, ist es Jesus, ist es Maria? Ist es Gott? Ist es der Heilige Geist? Ist es ein Filmschauspieler? Ist es ein Manager? Mahatma Gandhi? Mutter Teresa? Hitler?
    Konkurrenz und Hass lösen unangenehme Gruppensituationen aus, die in Gewalt umschlagen können. Um die Gewalttätigkeiten zu minimieren, wären gewaltfreie Vorbilder zweckmäßig: Gandhi, eventuell Buddha und – Jesus. Bei letzterem wäre auch ein zweiter Vorteil gegeben: Er wäre auch ein Vorbild in der Gottesliebe, dem Gott - Begehren. Er hat sich selber geachtet, hat seine Nächsten geliebt und hat mit Gott eine sehr intensive Beziehung gepflegt. Hat er im Garten Gethsemani noch gebeten: „Vater, lass diesen Kelch an mir vorübergehen“ und betete er noch am Kreuz den Beginn des Psalm 22: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, so übergab er am Ende seinen Geist in Gottes Hände (Lk 23,46; Ps 31,6). Alle Vorstellungen und Bilder von Gott wurden ihm gelöscht und es blieb ihm nur mehr die Hingabe – an Gott.
    Jesus ist in vierfacher Weise ein Vorbild: In der Gewaltlosigkeit, in der Liebe zu den Mitmenschen, in der Liebe zu sich selbst und in der Liebe zu Gott. Insofern können wir ihn nachahmen.
  • Rivalität: Jesus liebt Gott. Wir Christen lieben Gott. Gott sagt zu mir: Du bist mein Sohn oder du bist meine Tochter. Stehe ich in Rivalität zu Jesus, der ja auch Sohn Gottes ist? Nun, es kann sein, dass ich eifersüchtig werde, wenn ich sehe, dass Gottvater meinen Bruder Jesus mehr liebt als mich. Damit das nicht geschieht, hat Gott (in seiner Weisheit) seine zweite göttliche Person Mensch werden lassen: Jesus ist auch Gott. Dadurch enthebt er sich der Rivalität. (Nach Gott sehne ich mich, aber ich stehe nicht in Konkurrenz zu ihm.)
    Warum hat sich Jesus gefangen nehmen lassen? Warum hat er sich nicht mit dem Schwert gewehrt? Er wollte nicht in Konkurrenz zu den Mächten dieser Welt treten und ein Konkurrent mehr auf der Erde sein.
  • Sündenbockmechanismus: Die hysterische Masse schreit: „Kreuzige ihn!“ Ob das Juden sind oder Griechen, es ist egal. Es ist ein Massenfuror, bei dem Petrus Jesus verleugnet, seine Jünger sich verkriechen und vor dem Pilatus sich beugt („Besser es stirbt einer.“). Die Masse jubelt, denn die Konkurrenz untereinander ist (für kurze Zeit) vorbei. Auf diesem Massenwahn reitet der Teufel. (Auch bei den Nazis.) Jesus kommt durch seine konsequente Liebe in die Gewaltmühle des Sündenbockmechanismus. Dadurch führt er die Brutalität der Massen und der Mächtigen vor und deckt sie auf.
  • Schuld und Unschuld: Er zeigt, dass man völlig unschuldig zum Sündenbock werden kann. Seit Jesus sind die Opfer von Gewalt, Folter und Terror unschuldig. Gott wird ein Bruder der Opfer von Gewalt und Terror.
  • Mythologische Tünche: Der Massenwahn wird entweder den Juden in die Schuhe geschoben, indem man sie zu Gottesmördern macht oder man verteidigt die Juden und findet das „Kreuzige ihn!“ eine Lüge. In beiden Fällen wird der Massenwahn nicht ernst genommen. Denn jeder und jede Gruppe kann diesem Massenwahn verfallen. Es geht nicht um Antijudaismus oder Antisemitismus, sondern um menschliches Verhalten, das von „Jeder gegen jeden“ zu „Alle gegen einen“ mutieren kann.
    Die zweite Lüge besteht im Sühnemythos: Jesus musste sterben, damit Gott wieder freundlich zu den Menschen ist. Er musste Gott mit den Menschen versöhnen und starb als Opfer, weil wir Menschen so schlecht sind. Dieser Sühnemythos geht davon aus, dass Gott ein strafender Gott ist, der das Opfer seines Sohnes braucht, um wieder freundlich zu sein. Dadurch wird Jesus eine mythologische Figur und alle gewalttätigen Mächte bei der Passion Jesu werden gerechtfertigt. Judas musste ihn ausliefern, Pilatus musste ihn ans Kreuz nageln lassen. Alles geschah, damit er Gottes Wunde heilt, die die Menschheit ihm zugefügt hat.
  • Gott der Liebe: Gott ist Liebe. Jesus liebte ihn. Deswegen musste er sterben. Er starb aus Liebe zu ihm und damit wir Gott und den Nächsten lieben können.
  • Er starb wegen unserer Sünden: Sünde ist Absonderung von Gott, Gottferne. In der Gottferne sind wir Konkurrenten. Damit wir keine Konkurrenten mehr sind, sondern Brüder und Schwestern, brauchen wir Gottes Nähe und ein Vorbild. Das Vorbild ist Jesus. Damit er uns ein Vorbild ist, geht er konsequent den Weg der Liebe – auch wenn es den Tod bedeutet.
  • Damit ihr das Leben habt und es in Fülle habt: Glück hier auf Erden und Glück im Himmel – beides schenkt uns Gott, indem er sich in Jesus offenbart.