Karl Marx entwickelte eine Geschichtsphilosophie, die von der Materie ausging und eine Entwicklung zu einem Reich der Freiheit in Aussicht stellte. Die Sklaven stürzen die Sklavenhalter, die Bauern stürzen die Adeligen und die Arbeiter werden die Bürger, die das Kapital besitzen, stürzen. Dieser Geschichtsablauf geht notwendig vor sich. Wer sich dagegen wehrt, lebt verkehrt (ist anachronistisch). Die Religion ist von den Sklaven, den Bauern und den Arbeitern als Opium benutzt, damit sie die Verhältnisse aushalten. Wird die Religion bekämpft, sehen die Arbeiter die Unterdrückung und die Revolution beginnt. Die Ideologie von Karl Marx geht von einer Erlösungsbedürftigkeit der Menschen aus. Das messianische Zeitalter wird von der Arbeiterklasse herbeigeführt. Menschen handeln nach ihrem Interesse. Nur Einsichtige handeln für die Vorbereitung der Revolution, sodass sie nicht aufgehalten wird, sondern möglichst früh kommt. Diese Einsichtigen schließen sich der Arbeiterklasse an. Die Religion ist bei Marx nicht Opium für das Volk, wie es Lenin sagt, sondern Opium des Volkes. Das Volk macht sich die Religion: „Das religiöse Elend ist in einem Ausdruck des wirklichen Elends und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist… Die (Religions-)Kritik hat die imaginären Blumen an der Kette zerpflückt, nicht damit der Mensch die phantasielose, trostlose Kette trage, sondern damit er die Kette abwerfe und die lebendige Blume breche… Die Religion ist nur die illusorische Sonne, die sich um den Menschen bewegt, solange er sich nicht um sich selber bewegt.“ Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, Werke I, 488.
Karl Marx, 1918-1983 reduziert alles auf die Materie.
Christentum und marxistische Religionskritik: Karl Marx und vor ihm Ludwig Feuerbach erklären Gott als Nichts, als Schöpfung der Phantasie, als Wunschgebilde, als Spiegelung bestimmter menschlicher oder gesellschaftlicher und ökonomischer Zustände: „Der arme Mann hat einen reichen Gott". Gott ist für Marx ein lähmendes und zugleich rauschhaft wirkendes Opiat. Aber der Mensch ist zu sich selbst erwacht und erkennt und verwirklicht in sich selbst, was er bisher an den Himmel verschleuderte, was er fälschlicherweise und zu Unrecht Gott zugeschrieben wurde: Der Mensch ist der Gott des Menschen.
1.) Was in diesen Aussagen zunächst ausgesprochen wird, ist die unbestreitbare Tatsache, dass sich der Mensch ein Bild von Gott macht. Da das Weltbild sich wandeln, wandelt sich auch die entsprechende Vorstellung von Gott.
2.) Eine zweite Tatsache ist es, dass in der Geschichte Gott und Religion in den Dienst sehr ungöttlichen, unreligiöser menschlicher Interessen und egoistischer Zwecke gestellt wurden. Sie wurden benutzte, um das Bestehende als das Gottgewollte zu heiligen. Es wurde Ergebung in das gegebene Geschick als einzig mögliche, religiöse Haltung empfohlen. Gott wurde missbraucht.
Insofern haben diese schmerzlichen und unausweichlichen Fragen die Funktion einer Gewissenserforschung, und zugleich einer Reinigung und Läuterung der Religion und des Gottesgedankens von Missbrauch und ideologischer Inanspruchnahme für ganz andere Zwecke als die der eigentlichen Religion, zu deren Zeichen das Unegoistische, das Selbstlose, das Unverfügbare und Nicht-manipulierbare gehört.
Neben der Anerkennung dieser berechtigten Motive ist indes Folgendes zu fragen:
1.) Wie kommt Marx dazu, eine Abfolge in der Geschichte zu sehen, die auf eine Erlösung zugeht? Ist die Geschichte wirklich so eindeutig eine Revolution der Sklaven gegen ihre Herren? Es gibt heute noch Sklaven und die Sklavenbefreiung gelang nicht durch eine Revolution der Sklaven, sondern durch christliche Politiker wie William Wilberforce. Die Abschaffung der Leibeigenschaft der Bauern war keine Revolution sondern eine politische und wirtschaftliche Notwendigkeit. Die Verbesserung der Lage der Industriearbeiter wurde durch Gewerkschaftsaktionen erreicht und nicht durch eine Revolution. Die Arbeiter- und Bauernstaaten - wie die Sowjetunion - als Vorwegnahmen des Paradieses erlebten Diktatur, Folter, Völkermord und zerfielen wegen Unwirtschaftlichkeit. Marx hat sich in seiner Geschichtsauffassung geirrt.
Bild: William Wilberforce
2.) Stimmt die Idee von Marx, dass Religion passiv macht? Es kann durchaus sein, dass arme Menschen vom Reichtum im Himmel träumen. Aber das kann auch sehr motivierend sein, sich für eine bewohnbare Welt einzusetzen. Ideen wie die Ermunterungen der christlichen Religion können die Menschen zu guten Taten bewegen. Die jüdische und christliche Religion geht immer schon von einem Anruf Gottes aus, sich für Gerechtigkeit und Barmherzigkeit einzusetzen.
3.) Wie kommt Marx dazu, den Menschen als höchstes Wesen zu sehen? Wer jahrelang das Transparent über den Toren der Gefangenenlager der Sowjetunion, den Satz von Karl Marx gelesen hatte: Das höchste Wesen für den Menschen ist der Mensch, hatte Zeit genug, darüber nachzudenken. Welch ein Widerspruch zwischen dem Satz und dem Elend um ihn herum!
4.) Und wie ist es mit dem Menschen, der ohne einen Menschen ist - verlassen, einsam, verstoßen, entehrt, verurteilt, preisgegeben: Klingt ihm das nicht wie Hohn: Das höchste Wesen für den Menschen ist der Mensch? Kann daraus nicht die Umkehrung werden: Nichts kann so niedrig, gemein und verworfen, so unmenschlich sein als der Mensch? Was ist einem Menschen zu sagen, der diese Erfahrung macht, dem alle innerweltlichen Hoffnungen zerschlagen werden?
5.) Eines aber ist sicher: Der Gott, den der christliche Glaube bekennt, ist nicht der Gott menschlicher Vorstellungen und Wunschgebilde, nach des Menschen Bild geschaffen, sondern der Gott, der allem widerstrebt, was menschliche Vorstellung von Gott ausdenken kann: Ein Gott, der das Unscheinbare erwählt, der sich in Armut, in der Ausgestoßenheit, in der Erniedrigung, in der Entäußerung, im Kreuz, im Tod am Kreuz offenbart, ist kein Gott nach des Menschen Vorstellung. Angesichts eines Gottes, der sich in dieser Gestalt zeigt und mitteilt, kann der Mensch nur auf Skandal, Wahnsinn und Narrheit plädieren. Dass der Mensch so reagiert und reagieren wird, sagt schon der Apostel Paulus: Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen und das Schwache an Gott ist stärker als die Menschen. Seht doch auf eure Berufung, Brüder! Da sind nicht viele Weise im irdischen Sinn, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme, sondern das Törichte in der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen, und das Schwache in der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen. Und das Niedrige in der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt: das, was nichts ist, um das, was etwas ist, zu vernichten, damit kein Mensch sich rühmen kann vor Gott. Von ihm her seid ihr in Christus Jesus, den Gott für uns zur Weisheit gemacht hat, zur Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung. (1Kor 1,22-30) Wenn wir Menschen diese Sehnsucht nach Befreiung und Erlösung in uns haben, wer hat sie uns ins Herz gelegt? Das kann doch Gott sein.
8.Klasse, 16: Religion als Ursache des Bösen in der Welt: Religion als Sündenbock
In den letzten Jahren erschienen neo-atheistische Bücher wie Sam Harris' „The End of Faith“(„Das Ende des Glaubens“) und Richard Dawkins’ „Der Gotteswahn“ („The God Delusion“). Dies ist eine Reaktion auf das Erstarken des radikalen gewalttätigen Islams („Islamismus“), der als typische Religion wahrgenommen wurde und als Reaktion auf die Ablehnung der Evolution (nach Charles Darwin) mancher religiöser Gruppen, der „Kreationisten“ im englischsprachigen Raum: evangelikale Christen, orthodoxe Juden und konservative Moslem. Die dritte Ursache ist die Ausschau nach einem Sündenbock als Ursache des Bösen in der Welt. Dabei werden von vielen Religionen die negativen Auswüchse herangezogen und daraus eine allgemeine böse Hyperreligion konstruiert. Diese gilt es zu eliminieren, damit die Menschen glücklich leben können. Sam Harris geht so weit zu verkünden, dass der Glaube mit Gewalt ausgemerzt werden müsse, und er bekräftigt: Einige Behauptungen sind so gefährlich, dass es ethisch verantwortbar sein könnte, „Menschen, die an sie glauben, zu töten“. Diese neo-atheistische Ideologie ist selber religiöser Natur. Sie erschafft eine halbreligiöse Sekte, die Religionen als Sündenböcke verfolgt und sie töten will (siehe René Girard und der Sündenbockmechanismus). Religionen, die eine Antwort auf die Frage nach dem Grund unserer Existenz geben, sollen von der Erde verschwinden. Damit soll auch Gottes Aufforderung nach Nächstenliebe, Frieden, Verzeihen, Versöhnung, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit verschwinden. Vor allem soll die Angst vor einem selbstgemachten Gott verschwinden. Eine vorurteilslose Beschäftigung mit der christlichen Religion hätte den Neo-Atheisten die Angst jedoch genommen.
Christentum und Neo-Atheismus: Die katholische und evangelische Christenheit hat mit der darwinschen Evolutionstheorie Frieden geschlossen. Die Bibel ist kein wissenschaftliches Werk, sondern ein Dokument der Beziehungsgeschichte zwischen Gott und den Menschen. Die Geschichtswissenschaft zeigt, dass die Naturwissenschaft aus dem fruchtbaren Boden der christlichen Kultur herausgewachsen ist. Die katholische Kirche im Besonderen war in der vordersten Linie der naturwissenschaftlichen Forschungen und ihr Mäzen, so wie sie es auch für die Geisteswissenschaften war. Einige der größten Wissenschaftler der Geschichte – Newton, Pasteur, Galilei, Lavoisier, Kepler, Kopernikus, Faraday, Maxwell, Bernhard von Clairvaux (als Gründer des Zisterzienserordens) und Heisenberg – sie alle waren Christen. Gregor Mendel, der Vater der modernen Genetik, war katholischer Priester. Abbé Georges Edouard Lemaître war belgischer Priester, Physiker und gilt als Begründer der Urknalltheorie. Speziell der Jesuitenorden stand an der Spitze der naturwissenschaftlichen Studien. Am berühmtesten ist vielleicht der Paläontologe Teilhard de Chardin (Bild), der bereits in der Mitte des 20. Jahrhunderts Evolutionstheorie und Schöpfung miteinander versöhnen konnte. Dem gleichen Orden wie Teilhard gehört auch George Coyne. Er war lange Zeit Direktor der Vatikanischen Sternwarte auf dem Mount Graham (USA) und lehrte als Professor für Astronomie an der Universität Tucson/Arizona. Er traf sich mit dem Atheisten Richard Dawkins zu einem staunenswerten Gespräch. Das katholische Christentum fördert die Naturwissenschaft.
Weiteres: Naturwissenschaft und Christentum
Das Zweite Vatikanische Konzil und der Atheismus
Das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) beschäftigte sich intensiv auf Anraten von Kardinal Franz König mit dem Atheismus. Im Kapitel 19 und 20 von Gaudium et Spes schreiben und beschließen die Bischöfe:
19. Formen und Wurzeln des Atheismus
Ein besonderer Wesenszug der Würde des Menschen liegt in seiner Berufung zur Gemeinschaft mit Gott.
Zum Dialog mit Gott ist der Mensch schon von seinem Ursprung her aufgerufen: er existiert nämlich nur, weil er, von Gott aus Liebe geschaffen, immer aus Liebe erhalten wird; und er lebt nicht voll gemäß der Wahrheit, wenn er diese Liebe nicht frei anerkennt und sich seinem Schöpfer anheimgibt. Viele unserer Zeitgenossen erfassen aber diese innigste und lebensvolle Verbindung mit Gott gar nicht oder verwerfen sie ausdrücklich. So muß man den Atheismus zu den ernstesten Gegebenheiten dieser Zeit rechnen und aufs sorgfältigste prüfen. Mit dem Wort Atheismus werden voneinander sehr verschiedene Phänomene bezeichnet.
Manche leugnen Gott ausdrücklich; andere meinen, der Mensch könne überhaupt nichts über ihn aussagen; wieder andere stellen die Frage nach Gott unter solchen methodischen Voraussetzungen, daß sie von vornherein sinnlos zu sein scheint. Viele überschreiten den Zuständigkeitsbereich der Erfahrungswissenschaften und erklären, alles sei nur Gegenstand solcher naturwissenschaftlicher Forschung, oder sie verwerfen umgekehrt jede Möglichkeit einer absoluten Wahrheit. Manche sind, wie es scheint, mehr interessiert an der Bejahung des Menschen als an der Leugnung Gottes, rühmen aber den Menschen so, daß ihr Glaube an Gott keine Lebensmacht mehr bleibt.
Andere machen sich ein solches Bild von Gott, daß jenes Gebilde, das sie ablehnen, keineswegs der Gott des Evangeliums ist. Andere nehmen die Fragen nach Gott nicht einmal in Angriff, da sie keine Erfahrung der religiösen Unruhe zu machen scheinen und keinen Anlaß sehen, warum sie sich um Religion kümmern sollten. Der Atheismus entsteht außerdem nicht selten aus dem heftigen Protest gegen das Übel in der Welt oder aus der unberechtigten Übertragung des Begriffs des Absoluten auf gewisse menschliche Werte, so daß diese an Stelle Gottes treten. Auch die heutige Zivilisation kann oft, zwar nicht von ihrem Wesen her, aber durch ihre einseitige Zuwendung zu den irdischen Wirklichkeiten, den Zugang zu Gott erschweren.
Gewiß sind die, die in Ungehorsam gegen den Spruch ihres Gewissens absichtlich Gott von ihrem Herzen fernzuhalten und religiöse Fragen zu vermeiden suchen, nicht ohne Schuld; aber auch die Gläubigen selbst tragen daran eine gewisse Verantwortung.
Denn der Atheismus, allseitig betrachtet, ist nicht eine ursprüngliche und eigenständige Erscheinung; er entsteht vielmehr aus verschiedenen Ursachen, zu denen auch die kritische Reaktion gegen die Religionen, und zwar in einigen Ländern vor allem gegen die christliche Religion, zählt.
Deshalb können an dieser Entstehung des Atheismus die Gläubigen einen erheblichen Anteil haben, insofern man sagen muß, daß sie durch Vernachlässigung der Glaubenserziehung, durch mißverständliche Darstellung der Lehre oder auch durch die Mängel ihres religiösen, sittlichen und gesellschaftlichen Lebens das wahre Antlitz Gottes und der Religion eher verhüllen als offenbaren.
20. Der systematische Atheismus
Der moderne Atheismus stellt sich oft auch in systematischer Form dar, die, außer anderen Ursachen, das Streben nach menschlicher Autonomie so weit treibt, daß er Widerstände gegen jedwede Abhängigkeit von Gott schafft. Die Bekenner dieses Atheismus behaupten, die Freiheit bestehe darin, daß der Mensch sich selbst Ziel und einziger Gestalter und Schöpfer seiner eigenen Geschichte sei. Das aber, so behaupten sie, sei unvereinbar mit der Anerkennung des Herrn, des Urhebers und Ziels aller Wirklichkeit, oder mache wenigstens eine solche Bejahung völlig überflüssig.
Diese Lehre kann begünstigt werden durch das Erlebnis der Macht, das der heutige technische Fortschritt dem Menschen gibt. Unter den Formen des heutigen Atheismus darf jene nicht übergangen werden, die die Befreiung des Menschen vor allem von seiner wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Befreiung erwartet. Er behauptet, daß dieser Befreiung die Religion ihrer Natur nach im Wege stehe, insofern sie die Hoffnung des Menschen auf ein künftiges und trügerisches Leben richte und ihn dadurch vom Aufbau der irdischen Gesellschaft abschrecke.
Daher bekämpfen die Anhänger dieser Lehre, wo sie zur staatlichen Macht kommen, die Religion heftig und breiten den Atheismus aus, auch unter Verwendung, vor allem in der Erziehung der Jugend, jener Mittel der Pression, die der öffentlichen Gewalt zur Verfügung stehen.
21. Die Haltung der Kirche zum Atheismus
Die Kirche kann, in Treue zu Gott wie zu den Menschen, nicht anders, als voll Schmerz jene verderblichen Lehren und Maßnahmen, die der Vernunft und der allgemein menschlichen Erfahrung widersprechen und den Menschen seiner angeborenen Größe entfremden, mit aller Festigkeit zu verurteilen, wie sie sie auch bisher verurteilt hat (16). Jedoch sucht die Kirche die tiefer in der atheistischen Mentalität liegenden Gründe für die Leugnung Gottes zu erfassen und ist im Bewußtsein vom Gewicht der Fragen, die der Atheismus aufgibt, wie auch um der Liebe zu allen Menschen willen der Meinung, daß diese Gründe ernst und gründlicher geprüft werden müssen. Die Kirche hält daran fest, daß die Anerkennung Gottes der Würde des Menschen keineswegs widerstreitet, da diese Würde eben in Gott selbst gründet und vollendet wird. Denn der Mensch ist vom Schöpfergott mit Vernunft und Freiheit als Wesen der Gemeinschaft geschaffen; vor allem aber ist er als dessen Kind zur eigentlichen Gemeinschaft mit Gott und zur Teilnahme an dessen eigener Seligkeit berufen. Außerdem lehrt die Kirche, daß durch die eschatologische Hoffnung die Bedeutung der irdischen Aufgaben nicht gemindert wird, daß vielmehr ihre Erfüllung durch neue Motive unterbaut wird.
Wenn dagegen das göttliche Fundament und die Hoffnung auf das ewige Leben schwinden, wird die Würde des Menschen aufs schwerste verletzt, wie sich heute oft bestätigt, und die Rätsel von Leben und Tod, Schuld und Schmerz bleiben ohne Lösung, so daß die Menschen nicht selten in Verzweiflung stürzen. Jeder Mensch bleibt vorläufig sich selbst eine ungelöste Frage, die er dunkel spürt. Denn niemand kann in gewissen Augenblicken, besonders in den bedeutenderen Ereignissen des Lebens, diese Frage gänzlich verdrängen.
Auf diese Frage kann nur Gott die volle und ganz sichere Antwort geben; Gott, der den Menschen zu tieferem Nachdenken und demütigerem Suchen aufruft. Das Heilmittel gegen den Atheismus kann nur von einer situationsgerechten Darlegung der Lehre und vom integren Leben der Kirche und ihrer Glieder erwartet werden. Denn es ist Aufgabe der Kirche, Gott den Vater und seinen menschgewordenen Sohn präsent und sozusagen sichtbar zu machen, indem sie sich selbst unter der Führung des Heiligen Geistes unaufhörlich erneuert und läutert (17); das wird vor allem erreicht durch das Zeugnis eines lebendigen und gereiften Glaubens, der so weit herangebildet ist, daß er die Schwierigkeiten klar zu durchschauen und sie zu überwinden vermag.
Ein leuchtendes Zeugnis dieses Glaubens gaben und geben die vielen Märtyrer.
Dieser Glaube muß seine Fruchtbarkeit bekunden, indem er das gesamte Leben der Gläubigen, auch das profane, durchdringt und sie zu Gerechtigkeit und Liebe, vor allem gegenüber den Armen, bewegt.
Dazu, daß Gott in seiner Gegenwärtigkeit offenbar werde, trägt schließlich besonders die Bruderliebe der Gläubigen bei, wenn sie in einmütiger Gesinnung zusammenarbeiten für den Glauben an das Evangelium18 und sich als Zeichen der Einheit erweisen. Wenn die Kirche auch den Atheismus eindeutig verwirft, so bekennt sie doch aufrichtig, daß alle Menschen, Glaubende und Nichtglaubende, zum richtigen Aufbau dieser Welt, in der sie gemeinsam leben, zusammenarbeiten müssen. Das kann gewiß nicht geschehen ohne einen aufrichtigen und klugen Dialog. Deshalb beklagt sie die Diskriminierung zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden, die gewisse Staatslenker in Nichtachtung der Grundrechte der menschlichen Person ungerechterweise durchführen. Für die Glaubenden verlangt die Kirche Handlungsfreiheit, damit sie in dieser Welt auch den Tempel Gottes errichten können. Die Atheisten aber lädt sie schlicht ein, das Evangelium Christi unbefangen zu würdigen.
Denn sehr genau weiß die Kirche, daß ihre Botschaft dann dem tiefsten Verlangen des menschlichen Herzens entspricht, wenn sie die Würde der menschlichen Berufung verteidigt und denen, die schon an ihrer höheren Bestimmung verzweifeln, die Hoffnung wiedergibt.
Ihre Botschaft mindert nicht nur den Menschen nicht, sondern verbreitet, um ihn zu fördern, Licht, Leben und Freiheit; und außer ihr vermag nichts dem Menschenherzen zu genügen: "Du hast uns auf dich hin gemacht", o Herr, "und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir" (19).
http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_const_19651207_gaudium-et-spes_ge.html
Die Nächstenliebe als christliches Merkmal: Der Atheismus bietet oft keinen Ansporn, besser oder weniger egoistisch zu werden. Es sind die Gläubigen, die sich bemühen, Barmherzigkeit zu leben. Die zur Verfügung stehenden statistischen Daten zeigen dieses Ergebnis. Eine Studie des „Roper Center for Public Opinion Research“, die 2000 Personen erfasst, ermittelte, dass praktizierende Gläubige durchschnittlich 2.210 Dollar pro Jahr spenden, während Nichtglaubende bloß 642 Dollar aufbringen. Gläubige leisten auch viel mehr freiwillige Dienste in ihrer Freizeit als die ungläubigen Vergleichspersonen. Es waren die christlichen Kirchen, die Schulen für die Armen, Waisenhäuser, Hospitäler, Suppenküchen, Lazarette, Hospize und zahllose andere Werke der Wohltätigkeit gründeten. Klöster gründeten Spitäler, der Priester Vinzenz von Paul gründete die Caritas, Hildegard von Burian gründete Caritas Sozialis, Mutter Teresa die Missionarinnen der Nächstenliebe.
Zum Nachdenken:
Die Religionskritik von Karl Marx:
„Das religiöse Elend ist in einem Ausdruck des wirklichen Elends und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist… Die (Religions-)Kritik hat die imaginären Blumen an der Kette zerpflückt, nicht damit der Mensch die phantasielose, trostlose Kette trage, sondern damit er die Kette abwerfe und die lebendige Blume breche… Die Religion ist nur die illusorische Sonne, die sich um den Menschen bewegt, solange er sich nicht um sich selber bewegt.“
(Aus: Karl Marx, Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, Werke I, 488)
Helmut Gollwitzer zum Marxismus
Wer - so sagt der Sozialist und Theologe Helmut Gollwitzer – „jahrelang das Transparent über den Toren der Gefangenenlager der Sowjetunion, den Satz von Karl Marx, gelesen hatte: Das höchste Wesen für den Menschen ist der Mensch, hatte Zeit genug, darüber nachzudenken und sich den Widerspruch zwischen dem Wortlaut des Satzes und dem Augenschein um ihn herum nachzuspüren. Wenn der Mensch das höchste Wesen sein soll, wer ist dieser Mensch?
Der konkrete Mensch - wieso ist dieser, wieso soll und kann dieser das höchste Wesen für mich sein?
Oder ist dieser Mensch der Mensch der Zukunft?
Wenn aber dem so ist, dann wird der konkrete Mensch unwichtig, und er kann dann eben nicht das höchste Wesen für den Menschen sein.“
(Text aus: Helmut Gollwitzer, zit. in: Heinrich Fries, Abschied von Gott? München 1968, S. 73. Bildquelle: Gulagfrauen, Die Welt http://img.welt.de/img/politik/crop102062191/2489595178-ci3x2l-w540-aoriginal-h360-l0/gulag-frauen-DW-Politik-Nuernberg.jpg )
Thesen zur Kritik an der Religion:
- In der Religion protestiert der Mensch in sinnloser Weise gegen sein Elend.
- Der Marxismus reduziert die Probleme auf die ökonomischen Interessen.
- Karl Marx hatte die Hoffnung, dass eine Weltrevolution von der Arbeiterklasse geleistet wird.
- Die Religion macht den Menschen antriebslos und vertröstet ihn auf das Jenseits.
- Religion bewegt den Menschen, über sich hinaus zu wachsen.
(Autor Johannes Daxbacher)
Es gibt berechtigte Religionskritik: Lückenbüßergott, strafender Gott, Vertröstung, Gewalt im Namen Gottes, MIssbrauch der Religion.
Die Auseinandersetzung zwischen Richard Dawkins und Alister McGrath über die Unschuld oder Schuld des Atheismus.
Richard Dawkins:
Stalin war Atheist, Hitler vermutlich nicht; doch selbst wenn auch Hitler Atheist gewesen wäre, ist die Diskussion um die beiden Diktatoren unter dem Strich ganz einfach. Einzelne Atheisten können scheußliche Dinge tun, aber nicht im Namen des Atheismus. (Dawkins, S. 367)
Alister McGrath und Joanna Collicut McGrath:
Dawkins Plädoyer für die Unschuld des Atheismus an Gewalt und Unterdrückung – was er wiederum der Religion zuschreibt – ist schlichtweg unhaltbar und weist auf einen beträchtlichen blinden Fleck hin. (McGrath, S. 99) In Kambodscha hat Pol Pot im Namen des Sozialismus Millionen von Menschen eliminiert. ( McGrath, S.98)
(Texte und Bilder: Richard Dawkins, Der Gotteswahn, Berlin 2007 und Alister McGrath, Der Atheismuswahn, München 2007)
Michael Schmidt-Salomon über Joseph Stalin:
Joseph Stalin beispielsweise, der sich bekanntlich im Theologischen Seminar von Tiflis zum überzeugten Atheisten mauserte (2), ging als einer der größten Schreibtisch-Massenmörder in die Geschichte ein. In der Zeit des "Großen Terrors" (1936-38) ließ er breit angelegte "Säuberungsaktionen" durchführen, die u.a. auch das Ziel hatten, die "letzten Reste der Geistlichkeit zu liquidieren". (3) Hierzu heißt es in einem der besseren Aufsätze des insgesamt durchaus problematischen Sammelbandes "Schwarzbuch des Kommunismus"(4): "Tausende von Priestern und nahezu alle Bischöfe fanden sich in den Lagern wieder, und dieses Mal wurde ein großer Teil von ihnen hingerichtet. Von den 20.000 Kirchen und Moscheen, die 1936 noch für religiöse Zwecke genutzt worden waren, standen 1941 nicht einmal mehr 1000 für den Gottesdienst offen. Die Zahl der amtlich registrierten Geistlichen wurde Anfang 1941 mit 5665 angegeben [...] 1936 waren es noch mehr als 24.000 Geistliche gewesen." (5)
Anmerkungen:
2) vgl. Payne, Robert (1978): Stalin. Macht und Tyrannei. München, S. 31ff.
3) Werth, Nicolas (1998): Gewalt, Unterdrückung und Terror in der Sowjetunion. In: Courtois, Stephane et al (Hrsg.) (1998): Das Schwarzbuch des Kommunismus. München, S. 223
4) Zur Kritik des Schwarzbuchs siehe Mecklenburg, Jens / Wippermann, Wolfgang (Hrsg.) (1998): "Roter Holocaust"? Kritik des Schwarzbuchs des Kommunismus. Hamburg.
5) Werth, Nicolas (1998), S. 224
(Michael Schmidt-Salomon, Sind AtheistInnen die besseren Menschen? http://www.schmidt-salomon.de/atheismus.htm abgerufen 15.4.2016)
Thesen zut Kritik an der Religion und am Atheismus
1. Richard Dawkins kritisiert manche Auswüchse der Religionen zu Recht.
2. Die Religionen sind sehr verschieden. Atheisten werfen sie in eins zusammen.
3. Der Atheismus will die Menschheit.
4. Wenn Menschen zum Feind werden, könnte das auf den Sündenbockmechanismus von René Girard zurückzuführen sein.
5. Die Religionen produzieren atheistische Religionen.
(Autor Johannes Daxbacher)
Weiterführende Literatur: Karl Marx, Religionsersatz, Atheismus, Naturalismus (8. Klasse S. 80, 88)