Name:
3.4 Ezechiels Traum übertragen auf die Christenheit 5. Klasse
Wilhelm Willms war ein deutscher Priester und Verfasser von bekannten Liedern und spirituellen Texten. Er schrieb über die Schönheit und die Kraft der Religion wie in diesem Text zu lesen ist:
(lesung aus ezechiel)
er ging schon lange nicht mehr
zur kirche
er sah das protzige gehabe
dieser kirchenleute
und er konnte das ganze nicht anders
als dumm bezeichnen
und er ärgerte sich
denn dieser junge mann
bezahlte eine ganze menge kirchensteuer
denn er war ingenieur und hatte
einen guten posten in der industrie
er hatte lange gehofft
daß aus dieser kirche noch was werden
könnte
aber er sah wie gerade
die kirchlichsten in seinem betrieb
total versagten
sie krochen und schielten nach posten
und verkauften sich
und sie wären auch nicht kleinlich
wenn es einmal darum ging
einen kollegen zu denunzieren
und sonntags sah er sie dann
beim gottesdienst
und etwas hätte er von dieser heuchelei
ja verkraftet
aber so dick
und was er von den kirchlichen behörden
alles hörte
wie leichtfertig sie
mit dem geld umgingen
und was für lächerliche kinkerlitzchen
die verteidigten
und wie sie mit der liturgie
herumsalbaderten
aber wie sie nirgendwo
den mund auftaten
wo es um unrecht ging
da ließen sie die leute fallen
und flirteten mit der macht
und sorgten
daß die kasse stimmte
das alles erlebte dieser junge mann
aus der bibel
jahrelang und er litt an seiner kirche
und er hätte viel darum gegeben
wenn es anders gewesen wäre
und er träumte von einem anderen tempel
er träumte
und sah im geiste diesen tempel
tot erstarrt
protzig schön
und immer noch protziger und schöner
und er sah
wie plötzlich links an der tempelwand
links
einer der großen protzigen quader
sich bewegte als ob er lebendig wäre
und aus dem toten tempel
entsprang ein quell
und ein rinnsal lief
auf den jungen mann zu
der übrigens ezechiel hieß und später
prophet genannt wurde
weil er sich so aufgeregt hatte
über den toten tempelkram
und das rinnsal lief auf ihn zu
und wurde ein bach
und da kam ein tempelmann
so einer mit stab und mitra
und hatte eine goldene meßlatte
in der hand
und maß 1000 ellen
das bächlein entlang
und sagte zu ezechiel
geh hier mal durch das bächlein
und ezechiel ging hindurch
und das wasser ging ihm
bis zu den knöcheln
und der bach wurde breiter
und lief weiter ins land hinein
und ezechiel war sprachlos
und der tempelmann mit stab und mitra
maß weiter mit seiner meßlatte
1000 ellen und sagte zu ezechiel
geh hier hindurch
und ezechiel ging hindurch
und das wasser reichte
ihm bis zu den knien
und dann nochmal 1000 ellen
wurden abgemessen
und ezechiel ging wieder hindurch
und das wasser reichte ihm
bis zu den hüften und
da kam der tempelmann ganz nervös und
maß weiter 1000 ellen den fluß entlang
und ezechiel versuchte nochmal
durch das wasser des flüssig gewordenen
tempels zu gehen aber
er konnte nicht mehr hindurch gehen
er fand keinen grund und boden mehr
er mußte schwimmen
und das wasser des tempels
war glasklar
so schönes wasser hatte
er lange nicht mehr gesehen
und das wasser trug ihn
und ezechiel freute sich
und ezechiel schaute zum alten tempel
und da war kaum noch was
von übriggeblieben
er war fast ganz flüssig geworden
und die tempelbehörde
war alles andere als erfreut
der tempel war ihnen und ihrer verwaltung
unter der hand weggelaufen
er war nicht mehr zu bändigen
das geht nicht schrien sie alle
durcheinander
und schrieben auch
über diesen neuen zustand in der kirche
in ihren zeitschriften
das geht nicht
alles schwimmt
man muß das ganze
wieder in den griff bekommen
und sie sahen gar nicht
wie dieser flüssig gewordene tempel
eine freude wurde für das ganze land
wie er die menschen wieder berührte
wie die menschen
wie bäume wurzel schlugen an den ufern
dieser neuen strömung
im land
aber die tempelbehörde
war nicht zu beruhigen
sie schrieben und sagten
die leute haben keinen glauben mehr
und kein sündenbewußtsein mehr
und daß sie selbst blind waren
das sahen die tempelbeamten nicht
sie hatten plötzlich nicht mehr
ihren tempel
es war jetzt der tempel
zum strom geworden
zu einem glasklaren
durchsichtigen schönen
alles land erfrischenden strom
der die menschen endlich wieder
zu erfreuen anfing
aber dafür war manch einer blind
und konnte nicht aufhören
lamento zu machen
lamento für einen toten tempel
aus: roter faden glück, Wilhelm Willms, 7.8
verlag butzon&becker, kevelaer
ISBN 3766688448
Wilhelm Willms Texte wurden oft vertont: Alle Knospen springen auf. Brot, das die Hoffnung nährt. Kann denn das Brot so klein. Weißt du, wo der Himmel ist. Wenn das rote Meer grüne Welle hat. Wenn jeder gibt was er hat. Wir spinnen knüpfen weben. Der Himmel geht über allen auf.