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Marcel Callo1.4            Marcel Callo: Jugendlicher, Zeuge, Märtyrer

„Glücklicherweise gibt es einen Freund, der mich nicht einen einzigen Augenblick verlässt und der es versteht, mich in notvollen und niederdrückenden Stunden aufrecht zu halten. Mit ihm trage ich alles. Wie dankbar bin ich Christus, dass er mir den Weg, auf dem ich mich gegenwärtig befinde, durch das Beispiel seines Lebens vorgezeichnet hat ...“ So schrieb der französische Jungarbeiter Marcel Callo, der am 29. März 1945 im KZ Mauthausen verhungerte, in seinem vorletzten Brief an seine Mutter.

Im KZ Mauthausen und seinen Nebenstellen starben vom August 1938 bis zum Mai 1945 etwa 250.000 Menschen. Sie wurden zu Tode geprügelt, an Starkstrom angeschlossen, erhängt, vom Felsen gestürzt, zertrampelt, vergast, erschossen. Sie verhungerten, sie erfroren. Den Kältetod erlitten zum Beispiel der sowjetische General Korbyschew und viele Soldaten seiner Truppe. Entblößt mussten sie bei 15 Grad minus im Freien stehen und wurden alle drei Stunden mit Wasser übergossen.

In den Totenbüchern stehen die Namen von Russen, Polen, Ungarn, Jugoslawen, Tschechen, Griechen, Bulgaren, Briten, Norwegern, Tunesiern, Amerikanern, Italienern, Franzosen, Spaniern, Deutschen. Hitler hatte seine Vernichtungswut auf die halbe Welt ausgedehnt. Marcel Callo kam in diese Hölle, weil er ,,zu katholisch“ war, wie das einzige Urteil lautete, das bekannt wurde.

Als ältestes von neun Kindern wurde er am 6. Dezember 1921 in Rennes geboren. Die Familie war arm. Der Vater arbeitete bei der Stadt, die Mutter war Hausgehilfin gewesen.

Marcel war das, was die Franzosen einen ,,echten Bretonen“ nennen: dickköpfig und willensstark. Aber er ließ seine Fähigkeit nicht wild wuchern. Er brauchte Jahre, um sein Temperament unter Kontrolle zu bekommen. Dabei half ihm außerordentlich die Verantwortung für eine Gruppe junger Arbeitnehmer, für die er sich als CAJler einsetzte (CAJ - Christliche Arbeiterjugend). Er war als Buchdrucker in einem mittelgroßen Betrieb beschäftigt. Marcel machte kein Hehl aus seiner katholischen Überzeugung. „Er hatte nur ein Gesicht, und dieses Gesicht des Christen trug er überall“, bestätigte einer seiner Freunde. Tapfer stellte er sich allen Angriffen seiner Arbeitskollegen. Die Schwierigkeiten, die er als kirchen-treuer Katholik in einer unchristlichen Welt hatte, führten Marcel zu immer tieferer Bindung an Christus.

Mit 18 Jahren wurde er Leiter der CAJ in Rennes. Seine Mutter beobachtete damals seine Neigung zum Apostolat und fragte, ob er nicht Priester werden wolle. „Ich danke dir, Mutter“, meinte er, ,,aber ich fühle mich nicht zum Priester berufen. Ich glaube, dass ich als Arbeiter mehr Gutes wirken kann.“

1940 wurde Frankreich von den deutschen Truppen besetzt. Dem Engagement Marcels in der Christlichen Arbeiterjugend wurde damit die erste Fessel angelegt. Aber er konnte nicht von Christus schweigen, der sein Herz besaß. In der Fastenzeit 1941 fanden dank der Jugendarbeit Marcels viele Jugendliche wieder den Weg in die Gemeinschaft der Kirche. Auf einer Priesterversammlung sagte damals sein Pfarrer zu den anwesenden Geistlichen: ,,Ich wünsche jedem Pfarrer in der Bretagne einen Marcel Callo.“

Marcel bewies in seinen Unternehmungen nicht nur Mut, sondern auch Phantasie. Er arbeitete in seiner Freizeit mit anderen CAJlern im ,,Empfangszentrum“ des Bahnhofes von Rennes, wo viele Tausende von Flüchtlingen vorbeikamen. Mit besonderer Aufmerksamkeit suchte er dabei den Kontakt zu seinen Landsleuten, die zur Zwangsarbeit nach Deutschland abkommandiert waren. Er und seine Mitarbeiter ,,verloren“ bei diesen Kontakten immer wieder ihre Armbinden mit dem Roten Kreuz. Sie streiften sie heimlich über den Arm Jugendlicher, die nach Deutschland verschleppt werden sollten. Damit gehörten auch diese „zum Dienst“ und konnten unbemerkt in Züge einsteigen, die sie in die freie Zone brachten. Die Verwaltung des „Empfangszentrums“ schimpfte und drohte immer wieder, weil so viele Armbinden verbraucht wurden oder verlorengingen. Aber sie kam nicht hinter den Trick.

Das zeigt, wie leicht es ihm gewesen wäre, seiner Verhaftung zu entkommen, als er am 19. März 1943 mit anderen Jugendlichen in ein Arbeitslager nach Thüringen, Zella-Mehlis, deportiert wurde. Er hatte sich persönlich dazu durchgerungen, seine Verschleppung zur Zwangsarbeit als einen apostolischen Auftrag zu sehen: ,,Ich gehe nach Deutschland, um den anderen zu helfen, durchzuhalten. Ja, ich gehe, aber nicht als Zwangsarbeiter, sondern als Missionar.“

Im Arbeitslager kämpfte er in seiner wenigen Freizeit mit Gleichgesinnten von Anfang an gegen die Sinnleere und Verzweiflung seiner Kameraden.. Er gründete einen Theaterklub, einen Sportverein, organisierte Diskussionsrunden, Gottesdienste. Er suchte geheime Verbindung zur deutschen CAJ. Sein strammes religiöses Gebetsprogramm, das er sich auferlegte, sollte ihn in der Treue zu Christus stärken. Für die tausend Jugendlichen im Lager übernahm Marcel unbestritten die Führungsrolle.

Damals ahnte er aber auch immer deutlicher, dass Gott von ihm das Apostolat der Leiden fordern würde. ,,Wie stärkend ist es, zu leiden für die, die man liebt. Jeden Tag opfere ich meine Nöte für euch auf, für meine zukünftige Familie, für eine treue, christliche Arbeiterjugend.“

Am 14. April 1944 verhaftete ihn die Gestapo, die von einem Verräter einen Wink bekommen hatte, dass Marcel Callo der religiöse Halt seiner Leidensgenossen sei. Sein Freund Joel Jouas-Poutret berichtet: ,,Ich hatte Nachtschicht gehabt und befand mich in der Baracke, als gegen 23.00 Uhr Marcel eintrat. ,,Was gibt es, Marcel? Bist du krank?“ - ,,Ich bin verhaftet.“ Ein Gestapoagent, der ihm folgte, durchwühlte seinen Spind und seine Bücher. „Warum verhaften Sie meinen Kameraden?“ - ,,Der Herr ist zu katholisch!“ Dann wurde Marcel abgeführt und nach Gotha ins Gefängnis gebracht.“ Den letzten Brief seiner Mutter konnte er nur retten, indem er ihn in seine Schuhe legte.

Ein halbes Jahr lang saß er im Gewahrsam der SS. Nur ein einziges Mal hatte er die Freude, dass die Kommunion in seine Zelle geschmuggelt werden konnte. Am 5. Oktober 1944 musste Marcel Callo mit vielen anderen ins KZ Buchenwald ,,übersiedeln“. Weil die Stadt gerade bombardiert wurde, musste der Transport nach Hof umgeleitet werden, wo sie drei Tage blieben. Von dort ging es weiter nach Flossenburg. Aber auch da blieb er nicht lange. Mit 350 Unglücklichen wurde er weiter nach Mauthausen verschleppt.

Aus Augenzeugenberichten ist vieles über diese Hölle bekannt geworden. Marcel wurde viermal nahe an den Tod ausgepeitscht. Er arbeitete bis zu 14 Stunden täglich in einer Montagehalle unter der Erde. Das Essen - einmal am Tag - war mehr ein Fraß. Allein im Krankenrevier starben 35.000 Menschen innerhalb von sechs Wochen an Entkräftung. Bei Temperaturen bis 20 Grad unter Null mussten die ausgemergelten Häftlinge nackt schlafen. Als Marcel dort am 19. März 1945 starb, wo er nur mehr 15 Kilo. Er war 24 Jahre alt.

Ein Zeuge berichtet: ,,Marcel hatte einen schönen Tod. Er klagte über nichts. Er hatte ein freundliches Aussehen.“ Der ,,schöne Tod“ bestand darin, dass er ohne Prügel sein Leben verhauchen durfte. Mit seinem Leichnam geschah, was über einer der Türen in Mauthausen stand: ,,Herein geht‘s durchs Tor, hinaus durch den Schornstein.“

In der Krypta des St. Viktor Domes in Xanten findet sich für Marcel Callo und andere Leidensgefährten eine Gedenktafel. Als sie enthüllt wurde, hieß es im Text der Feier:

Priester: Zeuge Marcel Callo!

Schola: Wir rufen dich vor die Jugend Europas und an die Grenzen zwischen dein Volk und unser Volk - zur Versöhnung.

Wie sehr gerade die Eltern von Marcel Callo diese Versöhnung als einzig christlichen Weg sahen, drückten sie in den Worten aus, die sie an Pater Bernhard Gerardi OMI richteten, der die Lebensgeschichte ihres Sohnes geschrieben hatte:

,,Aus der Lebensbeschreibung unseres Kindes konnten Sie auf die Tiefe unseres Schmerzes schließen. Aber wir haben dieses Opfer, so schmerzlich es war, in christlicher Gesinnung angenommen, wenn auch unsere armselige menschliche Natur sich aufbäumte. Wir können Ihnen, hochwürdiger Herr Pater, ehrlich versichern, dass die Erinnerung daran in unseren Herzen weder Zorn noch Groll gegen das deutsche Volk hinterlassen hat.

Das Apostolat unseres lieben Marcel und seine Ausstrahlung, die durch seine Lebensbeschreibung fortgesetzt und erweitert wird, waren unser bester Trost.“

(Von Josef Kratzer, in: Don Bosco Kalender 1979, Seite 59 - 61, Universitätsbuchdruckerei Styria, Graz)