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4.5 Marias Geschichte

            Quelle für das Leben von Maria sind nicht nur die biblischen, sondern vor allem die apokryphen Evangelien, insbesondere das des Jakobus.

            Die Vorgeschichte beginnt demnach mit dem Elternpaar Joachim und Anna, die kinderlos blieben. Joachims Altaropfer wies der Hohepriester zurück. Joachim verbarg sich bei seinen Herden, ein Engel verkündete ihm, dass er zu seiner Frau zurückkehren und ihr an der Goldenen Pforte begegnen solle. Auch Anna, die trauernd ein Vogelnest mit den die Jungen fütternden Alten betrachtete, erschien der ihr trotz ihres Alters Nachkommen verheißende Engel. Das Kind Maria wurde geboren. Von Anna sorgfältig unterwiesen und dem Tempeldienst gewidmet, schritt die Dreijährige selbständig die Treppen empor, wo der Hohepriester sie mit den Tempelfrauen empfing - als Mariä Tempelgang ist diese Szene bekannt.

            Nun berichten die Überlieferungen die Szene mit den 12 Auserwählten aus den 12 Stämmen Israels, die ihre Stäbe zum Orakel in den Tempel brachten. Allein der Stab des alten Joseph aus dem Geschlecht Davids erblühte; eine Taube erschien darauf, Maria, die Jungfrau, wurde ihm angetraut - so fand die Verlobung, lateinisch Sposalizio, statt.

            Es folgt die im Neuen Testament bezeugte Verkündigung des Erzengels Gabriel an Maria mit der Begrüßung "Ave Maria" (Lukasevangelium 1, 26 - 38). Maria wurde mit Jesus schwanger. Die biblischen Zeugnisse bemühen sich, diese Schwangerschaft und die Geburt als ein wunderbares, von Gott gewirktes Ereignis darzustellen, um damit auch die besondere Bedeutung Jesus erkennbar zu machen. Im Traum wurde Joseph vom Engel angewiesen, die schwangere Maria nicht zu verlassen, dies wird als Rechtfertigung bezeichnet.

            Eine Cousine von Maria war Elisabeth, die Mutter Johannes' des Täufers. Die Heimsuchung bezeichnet die Begegnung von Maria und Elisabeth, die Lukas in seinem Evangelium (1, 39 - 56) schildert.

            Joseph und Maria machten sich dann nach der Überlieferung im Lukas- und Matthäusevangelium auf den Weg nach Bethlehem, wo das Jesuskind geboren wurde. Dies, dazu die Verkündigung der Engel an die Hirten und ihre Verehrung des Neugeborenen, die berühmte "Weihnachtsgeschichte", ist überliefert Lukasevangelium 2, 1 - 20.

            Nach der Überlieferung im Matthäusevangelium folgt die Verehrung der Weisen - der "heiligen drei Könige" Caspar, Melchior und Balthasar -, ihre Begegnung mit Herodes, dessen - angeblicher, historisch aber nicht zu belegender - Befehl zum Kindermord, der Traum der Könige und der Traum Josephs, der die Flucht nach Ägypten veranlasst, um Jesus vor dem Mordkommando des Herodes zu schützen (Matthäusevangelium 2).

            Diese Flucht ist von einer Reihe apokrypher Legenden umrahmt: ein aufwachsendes Ährenfeld verbarg die Flüchtenden; ein Palmbaum neigte sich ehrerbietig; Götter stürzten um; Räuber bekehrten sich; das Jesuskind spielte mit aus Ton geformten Vögeln, die lebendig wurden; Maria strickte einen Rock, der mit dem Heranwachsenden Jesus stets mitwuchs.

            Acht Tage nach der Geburt erfolgte die Namensgebung und Beschneidung Jesu (Lukasevangelium 2, 21). Die Darbringung im Tempel, das jüdische Reinigungsopfer der Mutter, ist wieder im Lukasevangelium (2, 22- 40) sowie ausführlich als Lichterfest in der Legenda Aurea geschildert, trägt daher auch die Bezeichnung Mariä Lichtmess.

            Das Ehepaar suchte eines Tages den Sohn und fand Jesus als Zwölfjährigen mit den Schriftgelehrten im Tempel (Lukasevangelium 2, 41 - 52). Von Joseph wird danach nichts mehr berichtet. Maria dagegen ist im späteren Leben Jesu bei allen wichtigen Situationen gegenwärtig, ohne im Vordergrund zu stehen. Vom 12. Jahrhundert an wird Maria mit dem Kind als "Madonna" verehrt; dem tritt eine Vorstellung aus der Apokalypse (Offenbarung 12) zur Seite: die vom Drachen verfolgte Frau, die das Kind zur Welt bringt, das Michael rettete, und die "von der Sonne bekleidet, von Sternen bekrönt auf dem Monde steht", als Mondliebe-Madonna bezeichnet.

 Eingang zum Grab der Maria in Jerusalem

            Nach dem Tod Jesu ging Maria der Überlieferung nach zwischen den Jahren 37 und 48 mit Johannes, dem "Lieblingsjünger" Jesu, nach Ephesus - heute Ruinen bei Selçuk. Dass sich hier ihr Grab befindet wird erstmals 431 beim Konzil von Ephesus benannt. Älter ist die Überlieferung, Maria sei in Jerusalem gestorben, dort wird ihr Grab nahe des Löwentors am östlichen Rand der Altstadt verehrt in der Krypta einer Kirche, die südlich des Ölberges im 4. Jahrhundert erbaut und um 1130 von den Kreuzfahrern erneuert wurde.

            Der Tod der Maria - byzantinisch "Koimesis", orthodoxe Kirchen tragen diesen Namen - ist ein großes Thema von später entstandenen Legenden: Maria erschien am Berg Zion - oder in Ephesus - heute Ruinen bei Selçuk - ein Engel mit leuchtendem Palmzweig und verkündete ihr den Tod. Sie bat, dass die Apostel zugegen sein sollten; diese wurden von Wolken herbeigetragen und umstanden das Lager der Sterbenden; Christus nahm die Seele der Entschlafenen auf den Arm. Die Hände des Hohenpriesters, der den Leichnam vernichten und mit Bewaffneten verhindern wollte, dass er in das Tal Josaphat - den Ort, an dem nach dem alttestamentlichen Buch Joel (4, 12) das göttliche Endgericht stattfinden soll - gebracht wird, blieben an der Bahre kleben, bis Petrus sie löste, ihn heilte und bekehrte.

            Im Ruinenfeld von Ephesus - heute Ruinen bei Selçuk - befinden sich gut erhaltene Reste der Marien-Kirche, die auf eine römische Basilika aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. zurückging. In dieser Kirche fand 431 das Konzil von Ephesus statt, das den Titel Marias als "theotokos", "Gottesgebärerin", bestätigte. Ihr angebliches letztes Wohnhaus, das Meryemana (Marien-Haus) liegt am Bülbül-Dag, dem "Nachtigallenberg", ca. 6 km von Selçuk entfernt; dessen heutige Verehrung geht zurück auf Visionen von Anna Katharina Emmerick über die letzte Wohnstätte und das Grab der Gottesmutter; nach Hinweisen sandte der Superior der Lazaristen in Smyrna 1891 eine Kommission nach Ephesus, die tatsächlich eine Hausruine ganz nach der visionären Beschreibung fand. Auch viele Muslime verehren dort die "Mutter des Propheten".

            Eine ähnlich umfangreiche Tradition entwickelte sich um das Geburtshaus der Maria. Demnach wurde Kaisermutter Helena während ihrer Wallfahrt ins heilige Land - wohl im Jahr 326 beim Anblick einer Hütte in Nazareth überwältigt von der Erkenntnis, die Geburtsstätte der Maria vor sich zu haben. Knapp tausend Jahre später, im Jahr 1291, trugen Engel das Heilige Haus zur Rettung vor den in Nazareth eingefallenen Muslimen nach Trsat bei Rijeka in Kroatien, besannen sich dann drei Jahre später und setzten es jenseits der Adria im süditalienischen Loreto ab. 16 Bürger der Stadt fuhren daraufhin nach Nazareth, entdeckten das Fundament mit übereinstimmendem Grundriss und einer Inschrift, die besagte, dass das Häuschen verschwunden sei. Später baute man in Loreto eine Kathedrale um das heilige Haus, das bis heute ein wichtiges Wallfahrtsziel ist.

            Die Marienverehrung in Loreto setzte Anfang des 14. Jahrhunderts ein. 1554 kamen Jesuiten nach Loreto, die die Verehrung des heiligen Hauses förderten. Nach dem Petersdom in Rom ist Loreto heute der zweitwichtigste Wallfahrtsort in Italien und einer der wichtigsten der katholischen Welt. Durch die Jesuiten entstanden in vielen Ländern Nachbildungen der Loretokapelle, zu denen eigene Wallfahrten veranstaltet werden.

Bedeutung von Maria:

            Maria gilt als Vorbild des Glaubens und als "Mutter" der Kirche. Mit Ihrem Ja zu Gott hat sie Gott in sich Raum gewährt, hat ihn in sich wachsen lassen, hat sich von ihm einnehmen lassen. Gleichzeitig hat sie Gott ein menschliches Gesicht gegeben, hat ihn unter Menschen erfahrbar und erlebbar gemacht und damit den Mitmenschen geholfen, ihrerseits befreit und erlöst und damit richtig Mensch zu werden.